Für die Hannoveraner Wohnungs- und Obdachlosen hat sich in der letzten Zeit einiges getan. Mitte März wurde in der HAZ die Eröffnung eines Housing-first Projekts in Hannover-Vahrenwald verkündet. Insgesamt stand die Thematik der Wohnungs- und Obdachlosigkeit in den letzten Monaten immer wieder auf Grund verschiedener Vorkommnisse im Blick der Öffentlichkeit. Mit Projekten wie in Vahrenwald kann den Betroffenen eine Chance gegeben werden. Trotzdem gibt es noch viele weitere Wohnungs- und Obdachlose auf den Straßen Hannovers. Viele der Plätze und Orte, an denen sie sich aufhalten, sollen nun neu gedacht werden – im Zuge der Auseinandersetzung mit der Zukunft der Innenstadt. Diese soll gemeinsam mit der Bevölkerung erarbeitet werden. Die Beteiligung der Bürger*innen kann dabei sowohl direkt als auch über Interessenvertretung laufen. Leider sind eben die Menschen, die die Innenstadt selbst in Corona Zeiten nutzen, die Wohnungs- und Obdachlosen, häufig schwer erreichbar. Ein erster Anfang wurde nun getan – vom 19.04.21 bis zum 25.04.21 fand eine Online-Umfrage zum Thema Wohnungslosigkeit statt. Zudem soll im Sommer ein Bürgerpanel zu dem Thema aufgezogen werden. Bei diesen durchgeführten und noch geplanten Aktionen, stellt sich die Frage, wie Betroffene am besten in die Bürger*innenbeteiligung integriert werden können – damit auch diese Nutzer*innen der Stadt einen Einfluss auf ihre Gestaltung haben.
Die Hindernisse
Im Rahmen einer Studienarbeit habe ich zu dem Thema in Hannover mehrere Interviews mit Betroffenen und Expert*innen geführt. Es wurden unterschiedliche Perspektiven auf das Thema dargelegt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Hindernisse bei der Beteiligung zwischen der persönlichen und der strukturellen Ebene verzahnt sind.
Die ‚Gruppe‘ der Wohnungs- und Obdachlosen zeichnet sich durch eine große Heterogenität in vielen ihrer Probleme und Bedürfnissen aus. Ähnlichkeiten lassen sich aber bei ihren Grundproblemen finden: Jeden Tag zu schauen wo sie und ihre Dinge bleiben. In dieser Situation noch Zeit und Energie für anderes aufzubringen ist häufig nicht möglich. Marius (anonymisiert), der selbst Obdachlos ist, sagt dazu „Wenn ich eine Wohnung und so hätte, hätte ich mehr Zeit.“
Eine größere Bedeutung als die persönliche hat jedoch die strukturelle Ebene. Der Umgang mit Menschen aus dieser Gruppe kostet viel Überwindung. Nicht nur, dass man sich mit den eigenen Vorurteilen auseinandersetzen muss. Man wird auch mit dem eigenen Schamgefühl konfrontiert und begibt sich in Situationen außerhalb der Komfortzone. Das lässt sich schon am alltäglichen Umgang mit Obdachlosen erkennen. Die meisten Menschen schauen weg – die Obdachlosen werden ignoriert. Dabei ist genau dieses „Nichtgesehen werden“ für die Betroffenen häufig sehr schlimm.
Dieses Wegschauen ist auch abseits des Alltags vorhanden. In Gesprächen mit zwei Organisator*innen von Beteiligungsprozessen sagten beide, dass Wohnung- und Obdachlose von Auftraggeber*innen nicht als Zielgruppe für die Prozesse genannt werden. Der Beteiliger Oliver Kuklinski ging einen Schritt weiter und erklärte, dass das Ziel von Stadtumgestaltung häufig das Loswerden solcher ‚unerwünschten‘ Gruppen sei. Solange dieses Ziel bleibt und die Interessen Obdachloser schlechter vertreten werden als die anderer, finanziell stärkerer, Nutzer*innen der Orte, sollen Beteiligungsprozesse diese Gruppe nicht erreichen. Auch dadurch entstehen Prozesse, deren Rahmenbedingungen diesen Teil der Bevölkerung nicht beachten: Melanie Schlöndorff, die bei der Wagner’schen Stiftung Sozialarbeit leistet, erzählte von einer Veranstaltung zum Thema Obdachlosigkeit in Hannover, die vor einigen Jahren in der Orangerie stattfand. Bei dieser waren Obdachlose anwesend, aber es war ihnen nicht erlaubt ihre Hunde mit hineinzunehmen. Publikum und Podium bestand aus ‚Anzugtragenden‘. Die Betroffenen wurden durch die Umgebung und Gestaltung der Veranstaltung eingeschüchtert und konnten sich nicht mitteilen.
Wie kann es anders gehen?
Das Hindernis der existenziellen Sorgen kann nur durch eine Verbesserung der allgemeinen Situation der Betroffenen aus dem Weg geräumt werden. Da das schwer erreichbar ist, ist ein erster Ansatzpunkt eine Veränderung des Umgangs mit Wohnungs- und Obdachlosen. Die Menschen müssen angenommen und ihnen sollte, so weit wie möglich, auf Augenhöhe begegnet werden. Das bedeutet eine Anpassung der Rahmenbedingungen von Beteiligungsprozessen. Einen Termin für eine Veranstaltung im Rathaus zu vereinbaren ist für die Beteiligung von Wohnungs- und Obdachlosen nur selten erfolgreich. Auch die Verlegung der offiziellen Veranstaltung an den Ort, der verändert werden soll, führt eher zu einem Rückzug der Wohnungs- und Obdachlosen. Stattdessen sollte eine aufsuchende Beteiligung durchgeführt werden. Dabei werden die Betroffenen vor Ort in informellen Gesprächen nach ihren Wünschen und Bedürfnissen gefragt. So können Menschen erreicht werden, die anders nicht zu Wort kommen.
Wie bei anderen Bevölkerungsgruppen haben nicht alle Wohnungs- und Obdachlosen ein Interesse daran sich zu beteiligen. Das muss akzeptiert werden. Sie könnten durch einen Ausbau der Vertretung mitgedacht werden. Zum einen gibt es bereits jetzt Sozialverbände, die für die Interessen der Betroffenen eintreten. Eine andere Idee hat Volker (anonymisiert), der momentan wohnungslos ist, geäußert. Er schlägt vor, in Obdachlosenstellen wie Tagestreffs nach Vertreter*innen zu suchen, die das Thema der Obdachlosigkeit in die Öffentlichkeit rücken und sich für die Gruppe einsetzen. Dass Wohnungs- und Obdachlose sich einbringen, ist an der Zusammensetzung der Vereine ‚Stimme der Ungehörten‘ (StiDu e. V.) und auch der Initiative ArmutStinkt zu erkennen. In diesen sind auch Betroffene engagiert.
Die Beteiligungsprozesse sollten sich damit beschäftigen, wie sie auch die Menschen erreichen können, die häufig nicht gehört werden. Eine Auseinandersetzung mit ihren Perspektiven, Wünschen und Ideen ist nötig, damit das Hannover der Zukunft gerechter wird.
Ich möchte mich herzlich für die Informationen, die Unterstützung und die Zeit für die Interviews bei Marius, Volker, Reinhold Fahlbusch, Oliver Kuklinski, Claudia Schelp, Melanie Schlöndorf und Georg Rinke bedanken.
Alle zu sehenden Bilder wurden von Reinhold Fahlbusch geschossen.