Der Stadtteilspaziergang durch die Altstadt von Hannover hat den Dialog zum Thema “Wohnen in der Innenstadt – Wunsch und Wirklichkeit”, den das bbs am 04.12 2022 begonnen hat, weitergeführt. Projektplaner und Altstadt-Kenner Torsten Schwarz führte ca. 60 Teilnehmer*innen durch schmale Gassen, sich plötzlich weit auftuende oder versteckte Hinterhöfe. Vorbei an Geschäften, Gastronomien, Leerstand, historischem Erbe und neuem und alten Wohnbau-Bestand. Auch weitere Expert*innen aus Hannover wie die Architektin und Stadtplanerin Karin Kellner, der Architekt und Mitglied des Immovielien Netzwerks Gerd Runge, Stadtbezirksmanagerin Claudia Göttler und Ulrike Roth vom Fachbereich Planen und Stadtentwicklung bereicherten mit ihrer umfassenden Kenntnis den Spaziergang. Schnell war klar: Die Altstadt hat Charakter und ein hohes Identifikations- und Entwicklungspotential aber auch Konfliktpotentiale. 

Erste Station des Spaziergangs war das Hohe Ufer. Karin Kellner sprach sich dafür aus, Flächen des City Rings an dieser Stelle für Wohnungsbau zu nutzen. Die damit einhergehende Verschmälerung der Fahrbahn erhöhe die Durchlässigkeit der Verbindung von der Altstadt und der Calenberger Neustadt. Weiterhin berichtet sie, dass der City2020+ Dialogprozess viele Ideen und Entwürfe generiert habe die nur noch angewendet werden müssten. 

Im Kreuzkirchenviertel waren vor allem der ruhende Verkehr und das angrenzende Rotlichtviertel Schwerpunktthemen. Viele Nutzungen sind dort nicht möglich aufgrund des starken Parksucherverkehrs, bei gleichsam schlechter Auslastung der Parkhäuser. Auch für die Wohnnutzung stellen diese Lärm emitierenden Problemfälle eine erhebliche Belastung dar. “Onay hat mit der autofreien Innenstadt die Wahl  gewonnen, das muss angegangen werden!” war eine der klaren Forderungen der Teilnehmer*innen. 

Der Wohnbestand um die Kreuzkirche zeigt vor allem die Potentiale von Wohnen in der Innenstadt auf. Das von der Hanova und anderen privaten Immobilienunternehmern entwickelte Quartier weist Mieten zwischen 7 und 13 € pro qm2 vor. Die Gebäude sind energetisch saniert, die Wohnungsschnitte modern, haben Balkone und Gärten. 

Im Bereich der Schmiedestraße drehte sich der Diskurs um die große Handelsimmobilie von Galeria Kaufhof und einige Leerstände. Sie bieten Potentiale für diverse Nutzungen, unter anderem auch Wohnen. Sie sind aber im Eigentum von Investor*innen, die meist andere Pläne für ihre Immobilie haben als Verwaltung oder Politik. Der Wunsch nach einer kooperativen Entwicklung im Sinne der Stadtgesellschaft und einem Herantreten an die Immobilienbesitzer*innen durch die Stadtverwaltung wurde laut. Gerd Runge betonte, dass Wohnentwicklung Gemeinwohl ist und die Stadtverwaltung Instrumente hat in die Wohnentwicklung bei privaten Flächen und Gebäuden einzugreifen.

Am Köbelinger Markt war der geplante Abriss des ehemaligen Bürgeramtes Mitte aus Sicht vieler Teilnehmer*innen nicht nachvollziehbar und keine nachhaltige Stadtentwicklung. Auch die geplante Wand hin zur Anlieferungszone der Markthalle könnte anders baulich gelöst werden und verhindert eine Öffnung der Markthalle zu dieser Seite. Gleichzeitig verspricht aber die Öffnung des geplanten Neubaus zur Seite des Köbelinger Marktes mehr Lebendigkeit für den Platz.

Allgemein war die Regelung des (ruhenden) Verkehrs ein wiederkehrendes Thema und wurde kontrovers diskutiert. Die Teilnehmer*in Ulrike Roth betonte, dass jedes Mal das Thema Auto beim Wohnen eine Rolle spielen würde und das dies endlich aufhören müssen, gerade im Bezug auf die Klimaziele. Weiterhin wurde thematisiert, dass es eine stärkere Differenzierung bei Freiräumen in der Innenstadt bräuchte um auch privatere Räume für die Bewohnenden zu schaffen. Wie das aussehen könnte zeigt das Wohnquartier Kreuzviertel mit seinem nur für die Bewohner*innen zugänglichen Hinterhof. Zudem zeigt dieses Projekt auf, wie Bestandsimmobilien durch eine Anpassung der Wohnungsschnitte und energetischen Sanierung attraktive Wohnimmobilien werden können.

 

Im Anschluss der Veranstaltung konnten wir noch ein Gespräch mit der Stadtteilmanagerin Claudia Göttler führen. Sie kritisierte, dass das Wohnen in der Innenstadt im öffentlichen Diskus häufig romantisiert wird, wobei Probleme nicht thematisiert werden. Prostitution, Drogenmissbrauch und Obdachlosigkeit sind wie in keinem anderen Stadtteil vorhanden und führen zu Konflikpotential. Weiterhin sorgt die zahlreich Vertretene Gastronomie ebenfalls für Geruchs- und Lärmbelästigung. Eine Möglichkeit, Konflikte zu entzerrren ist baulich: So können gläserene Schutzwände ihrer Meinung nach für den nötigen Abstand zwischen “Problem-Klientel” und Anwohnenden sorgen. Aber Abschottung ist nicht die einzige Möglichkeit um Innenstadt und Wohnen zu vereinen. Andere Lösungsmöglichkeiten sind bürgerschaftliches Engagement und lokale Netzwerke: Die Bürgerinitative “Wohnen.am.Marstall” wurde bereits mit dem Bürger*innenpreis für Engagement ausgezeichnet. Zudem bietet das Projekt “limmernlabor” aus dem Stadtteil Linden-Nord  bereits ein alternatives Vorbild, wie bürgerschaftlich mit Konflikten wie Lärm, Partytourismus und Vermüllung umgegangen werden kann.