ZUKUNFTinnenSTADT

Recht auf Innenstadt

Mädchen und Frauen im öffentlichen Raum (07.10.21)

RednerInnen

Thesen

  1. Gender Planning hat mit der feministischen Stadtplanung eine lange Tradition; es gibt zahlreiche Praxisbeispiele und Kriterienkataloge – diese müssen genutzt werden! 

  2. Gender Planning findet kaum Berücksichtigung. Bestehende Empfehlungen und Richtlinien müssen deshalb verbindlich sein (z. B. Wettbewerbskriterien), sonst finden sie keine Anwendung.

  3. Verwaltung und Planende brauchen Know-how zu Gendersensibilität.

  4. Die Frage, wer die Innenstadt wie benutzt bzw. nicht benutzt, weist auf Diskriminierungen hin. Diskriminierungen müssen offengelegt werden, um unterrepräsentierte Gruppen in der Innenstadt zu unterstützen.

  5. Die Sichtweise von Zielgruppen muss durch gemeinsame Begutachtung und Checklisten verbindlich in die Planungen einfließen.

  6. Um eine Innenstadt für Alle zu gestalten, müssen von Diskriminierungen betroffene Personen beteiligt werden. Ihnen muss Mut gemacht werden, konkrete Forderungen zu entwickeln.

  7. Es geht nicht darum, Frauen per se zu unterstützen, sondern verschiedene Lebensentwürfe zu ermöglichen – davon profitiert die gesamte Stadtgesellschaft.

„Ich fühle mich nicht wohl, wenn ich abends Bahn fahre, das Abteil leer ist und eine Männergruppe steigt zu.“

Das Statement einer Besucherin der bbs-Veranstaltung „Recht auf Stadt – Mädchen und Frauen im öffentlichen Raum” zeigt: Der Zugang zur Innenstadt Hannovers ist nicht für alle gleich. Es gibt für Männer unsichtbare Zonierungen und zeitliche Fenster, die die Bewegungsfreiheit von Mädchen und Frauen auf Hannovers Straßen und Plätzen einschränken. Gender Planning – was dem entgegenwirken kann – ist ein alter Hut, trotzdem findet es nicht statt. Die Forderungen nach der Veranstaltung sind klar: Gendersensible Planung muss Wettbewerbskriterium werden, bestehende Empfehlungen und Richtlinien müssen verbindlich sein, sonst finden sie keine Anwendung. Das hat nicht zum Zwecke, Männer zu benachteiligen, sondern um die Aufenthaltsqualität von Hannovers Innenstadt für alle zu steigern.

In der Diskussionsrunde, die das Bürgerbüro Stadtentwicklung Hannover e. V. mit der Volkshochschule Hannover am 6. Oktober veranstaltete, nahmen ca. 50 Personen physisch und digital teil. Zusammen mit Prof. Tanja Mölders entwickelten Dipl.-Ing. Heide Studer; (Landschaftsökologin, Kultur- und Sozialanthropologin aus Wien), Dipl.-Geografin und Planerin Ingrid Heineking und Friederike Kämpfe (Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Hannover) Ideen dazu, wie Hannovers Innenstadt mehr von und für Mädchen und Frauen gestaltet werden kann.

„Ich muss gestehen, es war nicht das erste Thema, welches mir zur Entwicklung der Innenstadt eingefallen ist.“

Das Statement spiegelt die Bedeutung geschlechter*gerechter Planung wider. Umso wichtiger, dass die vierte Veranstaltung im Citydialog ZUKUNFTinnenSTADT genau darauf eingeht, betonte Jacqueline Knaubert-Lang, Leiterin der VHS, bei der Eröffnung. Prof. Tanja Mölders stellte zunächst das Gender Mainstreaming vor: Ein politisches Leitprinzip, das Planung durch Genderaspekte qualifiziert. Dadurch sollen Aneignungs- und Raumnutzungsmuster von allen Geschlechtern bei Planungen berücksichtigt werden. Ingrid Heineking stellte eine Mobilitätsanalyse der Region Hannover vor, dabei legte sie den Fokus auf Unterschiede im Mobilitätsmuster von Mann und Frau. Heide Studer stellte Projekte aus Wien zur erfolgreichen Beteiligung von Mädchen vor. Sie betonte in ihrem Vortrag weiterhin, dass es wichtig sei, alle von Diskriminierungen betroffenen Personen zu beteiligen und den Mut zu haben, konkrete Forderungen zu entwickeln.

Prof. Tanja Mölders leitet das Referat „Räumliche Planung und raumbezogene Politik“ bei der ARL Akademie für Raumentwicklung in der Leibnitz-Gemeinschaft und ist außerplanmäßige Professorin an der Leibniz-Universität. In dieser Funktion bietet sie Studierenden Seminare wie z.B. „Gender Planning – Städtische Räume geschlechter*gerecht planen“ an. Als Nachhaltigkeitswissenschaftlerin stellen Fragen nach Geschlechterverhältnissen für sie einen analytischen Zugang dar, der einen kritischen Blick auf Denk- und Handlungsmuster ermöglicht. In Bezug auf Hannover stellt sie die Frage: „Haben alle Menschen das gleiche Recht auf Innenstadt? Wer eignet sich städtische Räume an und werden öffentliche Räume implizit oder explizit zugewiesen?“ Ihre These ist, dass das Geschlecht als sozialer Platzanweiser wirkt und Frauen und Männer, aber auch Mädchen und Jungen Räume unterschiedlich nutzen. Das Gender Mainstreaming stellt sie als politisches und planerisches Leitprinzip vor. Bei allen Maßnahmen und Projekten sollen in verschiedenen Phasen der Planung und Umsetzung die Raumnutzungsansprüche, Ressourcen und Kompetenzen gesellschaftlicher Gruppen berücksichtigt werden. Gender Planning soll so die in der Stadtplanung unterrepräsentierten Gruppen stärken. Interessant sind hierbei Gegensätze zwischen Erwerbsarbeit und Versorgungsarbeit. Traditionell wird die Produktionsarbeit vom Mann ausgeführt und die Versorgungsarbeit von der Frau. Versorgungsarbeit bringt meist viele kurze Wegestrecken mit sich. Mölders stellt hierzu die Frage, ob dies mit dem ÖPNV überhaupt möglich ist.

Als weiteres zentrales Thema nannte sie Sicherheit. Für Frauen gibt es häufig sogenannte „Angsträume“, die aktiv gemieden werden, da sie subjektiv als gefährlich wahrgenommen werden. Frauenparkplätze oder Heimwegtelefone könnten die Antwort sein. Vorsicht ist allerdings geboten, wenn Frauen in eine Opferrolle gebracht und dort gehalten werden.

Für die Anschaulichkeit räumlicher Auswirkungen des Gender Plannings präsentierten einige ihrer Studierenden die Seminararbeit „Hannover Mit(te) Gestalten – Weiterführung des Innenstadtdialogs mit Fokus auf geschlechtergerechtes Planen und Entwerfen“. Sie stellten Orte in der Innenstadt und Visionen für ihre geschlechtergerechte Gestaltung vor.

Als lokale Expertin sprach Diplom-Geografin Ingrid Heineking darüber, wie eine Gender-Analyse über Mobilität in der Region Hannover, an deren Erstellung sie mitgewirkt hat, ein qualifizierender Aspekt in der Planung ist. Dabei wurde auch vermeintlich Gesetztes hinterfragt. Es kam heraus, dass sich schon eine Veränderung im Mobilitätsverhalten bemerken lässt. Junge Frauen haben früher und häufiger einen Führerschein als Männer, während in den älteren Altersstufen Frauen Mitfahrerinnen sind. Im Allgemeinen unterscheiden sich die Mobilitätsmuster von Männern und Frauen bei den Versorgungstätigkeiten und den Arbeitswegen: Während Männer eher schnell lineare Wegstrecken zurücklegen, haben Frauen ein ausgeprägtes Wegenetz mit einer geringeren Geschwindigkeit. Um unabhängig vom motorisierten Individualverkehr zu werden, sei es wichtig, den ÖPNV an weibliche Mobilitätsbedürfnisse anzupassen. Weiterhin sieht Heineking einen Ansatzpunkt für Maßnahmen bei den Umbruchsphasen in dem Leben der Menschen. Während viele Studierende ohne Auto unterwegs sind, ändert sich dies beim Einstieg in die Arbeitswelt. Diese Umbruchsphase können durch spezielle Maßnahmen, z.B. günstigere Tarife, begleitet werden um Anreize zu schaffen, sich weiterhin autofrei zu bewegen. Ziel der Mobilitätsanalyse war es, konkrete Forderungen an die Verwaltung zu entwickeln. Aus den erhobenen Daten ergaben sich sieben Forderungen. Die Kernpunkte beschäftigen sich mit zielgruppenspezifischen Beteiligungsformaten, Bedarfsverkehr, Steigerung der Sicherheit, Push- und Pull-Maßnahmen und dem Zusammendenken von Siedlungs- und Verkehrsentwicklung. Gleichsam ist aber ein zentraler Punkt Experimente zu wagen und neue Maßnahmen zu testen.

Dr. Dipl.-Ing. Dr. Heide Studer ist Landschaftsökologin und Sozialanthropologin aus Wien. In ihrem Büro Tilia entwickelt und erforscht sie öffentliche Räume, dabei spielt die Partizipation der Stadtbevölkerung eine zentrale Rolle. Denn der Raum, erklärte sie, wird durch soziale Praktiken hergestellt. Der Stadtraum wird täglich genutzt. „Lebensqualität in Städten bedeutet, dass mehr gewählte, also nicht notwendige Aktivitäten im öffentlichen Raum stattfinden“ zitiert sie Jan Gehl (dänischer Architekt und Stadtplaner aus Kopenhagen). Studer fragte, wo Jugendliche sich einbringen können. Sie betonte, dass Jugendarbeit in Wien burschenorientiert ist, deshalb setzt sie sich für die Teilhabe von Mädchen in Planungsprozessen ein. Dabei legt sie die Diskriminierungen offen und untersucht das geschlechterspezifische Verhalten: Mädchen eigenen sich weniger Orte an als Jungen. Sie halten sich lieber an belebten Orten auf, bei denen sie in der Masse verschwinden können und ohne soziale Kontrolle üben können, selbstständig zu sein. Mit diesen und weiteren Erkenntnissen führte Heide Studers Büro ein Beteiligungsverfahren am Reumannplatz in Wien durch und legte dabei den Fokus besonders auf Mädchen. Bei der späteren Umgestaltung konnte eine Mädchenbühne und ein Aufenthaltsbereich realisiert werden. „Die Mädchen haben bunte Bänke gestaltet und als Mädchenbank beschriftet. Jetzt wird beobachtet, dass Männer diese Bänke räumen, wenn Mädchen sich setzen möchten.“ Freute sich Studer. Stadtverwaltungen müssen für das Genderthema sensibilisiert werden.

Geschlechtergerechte Planung hat zwar an Bedeutung gewonnen, trotzdem fehle noch die planerische Konsequenz, diese in jedem Projekt anzuwenden. Es wurde deutlich, dass es bei Gender planning nicht darum geht, Frauen per se zu unterstützen, sondern verschiedene Lebensentwürfe zu ermöglichen, die z.B. auch Versorgungsarbeit beinhalten. Um eine City für Alle zu gestalten, das war allen nach der Veranstaltung klar, spielen nicht nur räumlich-bauliche Setzungen eine Rolle. Alle Rednerinnen waren sich in einem Punkt einig: Um unterrepräsentierte Gruppen in der Innenstadt zu unterstützen sei es wichtig, Diskriminierungen offenzulegen. Nur so könne man konkrete Forderungen mit den unterrepräsentierten Gruppen entwickeln und in der Stadtentwicklung verankern.

Friederike Kämpfe betone abschließend, dass sich dafür auch Strukturen in der Verwaltung ändern, und Menschen sensibilisiert werden müssten. Selbst, wenn Alle Planer*innen eine Art „Gender-Kompass“ hätten, müssten Anforderungen verbindlich sein, damit geschlechtergerechte Planung zu einer besseren Innenstadt Hannovers führt.

Heide Studer ermutigte: „Fragt die, die da sind! Fragt Mädchen und Jungen. Wenn ohnehin eine Beteiligung stattfindet, ist es wenig Aufwand, diese auch geschlechtersensibel auszuwerten. Ein Nachhaken anhand von statistischen Daten ist möglich, wenn Gruppen nicht berücksichtigt wurden.“

Hier finden Sie einen Zusammenschnitt einiger spannender Momente, sowie einen Beitrag von h1 zur Veranstaltung: