ZUKUNFTinnenSTADT

Bewegung in der City

wo passiert “urban sports”? (04.11.21)

Redner

Thesen

  1. Sport und Bewegung müssen bei der Gestaltung öffentlicher Räume stets mitgedacht werden – öffentliche Räume könnten hybrid nutzbar sein, dafür braucht es robuste Gestaltungen. 

  2. Privatleute, Vereine, Unternehmen und Initiativen sollten bei der Gestaltung des öffentlichen Raumes einbezogen werden, da sie viele Ideen und Initiativen zur Umsetzung beitragen können.

  3. Die Verwaltung sollte ansprechbar und handlungsfähig sein und bei Sportfragen dezernats- und fachbereichsübergreifend arbeiten – One Stop Agency.

  4. Bei der Umsetzung von Projekten sollten nicht nur Nutzer*innen, sondern auch Anwohner*innen in die Planung einbezogen werden.

  5. Sport-/ Bewegungs-Projekte sollen nicht nur kurzzeitig Teil der Innenstadt sein, sondern auch längerfristig und nachhaltig etwas verändern. 

  6. Die Umsetzung von Ideen und Projekten sollte keinen jahrelangen bürokratischen Aufwand mit sich ziehen, sondern schnell realisiert werden.

Unter dem Motto „Sport in der City – Von der Vision zum Bewegungsraum für alle!” erkundeten 30 Bürger*innen die Innenstadt. Zusammen mit Heiko Heybey, dem Initiator der Leinewelle, entwickelten sie Thesen dazu, wie urban sports in Hannover verhandelt, geplant und realisiert werden kann.

An vier Stopps einer Innenstadtexkursion, die das Bürgerbüro Stadtentwicklung Hannover e. V. mit der VHS am 2. September veranstaltete, begutachteten die 30 Teilnehmenden Situationen, sammelten Ideen und gaben klare Hinweise an die Politik und Stadtverwaltung.

Oliver Kuklinski (Geschäftsführer des bbs), Helene Grenzebach (Geschäftsstellenleitung des bbs), Jaqueline Knaubert-Lang (Leiterin der VHS) bei der Begrüßung zur Exkursion (Foto: Eduardo Navarro)

Sport und Bewegung stellen neben Grün und Aufenthaltsqualitäten große Potenziale zur Entwicklung der Freiräume in der (Innen-)Stadt dar. Dazu müssen Bewegungs- und urban sports-Anforderungen bei der Umplanung von Innenstadtplätzen auf den Radar der Planer*innen. Bodenbeläge und Ausstattungselemente wie etwa Stufen, Bänke und Beeteinfassungen sollten so geplant und gebaut werden, dass “hybride” Nutzungen möglich sind: Ein Freiraum kann so zu unterschiedlichen Tageszeiten verwendet werden um im Schatten von Bäumen seine Mittagspause zu machen, zu skaten oder mit den Kindern fangen zu spielen. Nutzungen können sich auch im Laufe der Jahre ändern, ohne, dass die Plätze immer wieder umgebaut werden müssen.

„Der teure Rentner*innensportplatz sind am Bedarf vorbei geplant und werden kaum genutzt, aber in Bothfeld fehlt das Restgeld, um eine Skateanlage zu bauen, auf die hundert Jugendliche sehnlichst warten und für die sie selber über Jahre die Sponsorengelder eingeworben haben.“ Erklärt Heiko Heybey Initiator der Leinewelle.

Die zuständige Verwaltung muss deshalb ansprechbar und handlungsfähig sein. Dazu wurde angeregt, innerhalb der Verwaltung dezernats-und fachbereichsübergreifend zu arbeiten (wie die AG Stadtplätze, die das inzwischen weitgehend ausgelaufene Stadtplatzprogramm bearbeitet hat). Anwohnende bzw. anliegende Nutzer*innen wie Ladenbetreiber*innen mit ihrer Ortskenntnis sollten früh in die Planung einbezogen werden, ebenso wie Expert*innen der jeweiligen Sport- und Bewegungsarten. Gefragt werden sollten auch Vereine mit Wissen, etwa zu Barrierefreiheit oder der Planung von Sportanlagen. Diese Partner*innen können dann auch in die Bespielung, Betreuung und nachhaltige Nutzung der neu gestalteten Räume einbezogen werden. Die Exkursion hat gezeigt, dass Privatleute, Vereine, Unternehmen und Initiativen in Hannover vor Know-how und guten Ideen strotzen um mehr Bewegung in die Stadt zu bringen.

Klar wurde auch, dass die Gegebenheiten an jedem einzelnen Ort genau betrachtet werden müssen – nicht jeder Platz in Hannovers City eignet sich für Sport. Dazu braucht es fachliche Bestandsaufnahmen und auch eine Prioritätensetzung für Maßnahmen und Umbauten, in die die Stadtgesellschaft einbezogen werden muss. Anwohner*innen sowie zukünftige Nutzer*innen müssen dann früh die Entwürfe mitgestalten und kritisieren dürfen. Und sie müssen Alternativen zur aktuellen, autozentrierten Stadt erleben und ausprobieren können.

Leinewelle

An der Leinewelle beschrieb Heiko Heybey die Funktion der stehenden Welle und den Prozess von der Vision bis zum jetzigen Stand der Baustelle. Besorgte Nachfragen zum Kanuanleger, dem Lebensraum für Fische und dem drohenden Publikumsverkehr beantwortete er fundiert.

Aus dem Publikum kam der dringende Wunsch, den benachbarten Parkplatz im Zuge der Bauarbeiten auch zu einer Spiel- oder Bewegungsfläche umzuwandeln. Eine Anwohnerin entgegnete daraufhin ihren Bedarf an erreichbarem Parkraum. Dieser würde nicht ausreichend berücksichtigt, stattdessen fielen zum Beispiel durch den neu gestalteten Marstall und die Baustelle der Leinewelle immer mehr Parkmöglichkeiten weg. Solche Aktivitäten seien selten gut vermittelt, sie als Anwohnerin erhalte meist keinerlei Informationen, eine Ansprechperson gäbe es nicht. Dieser klassische Nutzungskonflikt zeigt, dass Projekte nicht nur zukünftigen Nutzer*innen, sondern auch Anwohner*innen einbeziehen müssen, um erfolgreich zu sein und die Prioritäten der Maßnahmen zu vermitteln.

Heiko Heybey, Initiator der Leinewelle, stellt den langwierigen aber erfolgreichen Entstehungsprozess der Leinewelle vor. Surfen auf der Leine soll ab dem Frühjahr 2022 möglich sein.

Die Leinewelle zeigt, dass aus privaten Initiativen erfolgreiche Projekte entstehen können, die unserer Stadt Einzigartigkeit und Atmosphäre verleihen. Es ist aber auch deutlich, wie viel Geduld und Beharrlichkeit nötig sind, um Vorurteile, bürokratische Hürden zu überwinden bzw. konkurrierende Nutzungsinteressen auszugleichen. Es wird deutlich, dass bei der Identifizierung und Umsetzung von Projekten eine qualifizierte Kommunikation mit Nutzer*innen und Nachbar*innen und Anwohner*innen erfolgen muss. Das erfordert Mut und das Aushalten von Uneinigkeit und im Vorfeld eine klare gut kommunizierte Prioritätensetzung.Kreuzung Breitestraße/Georgswall

Kreuzung Breite Straße/Georgswall

Die Kreuzung Breite Straße/Georgswall war die nächste Station der Exkursion. Eine Teilnehmerin beschrieb, wie trist und lieblos der Platz sei, die einzig mögliche Nutzung sei das Parken von Autos. Einladend und atmosphärisch sei der Platz nicht, er würde sich hier nicht aufhalten wollen – stimmte ein kommunalpolitisch aktiver Teilnehmer zu. Hier ist es aber leicht möglich, Bewegungsangebote zu schaffen, ohne Lieferverkehr zu verbannen. Denn der Platz, der überwiegend von Büros umgeben ist, muss zum Beispiel am Wochenende oder abends kein Parkplatz sein. Hybride Lösungen und optionale Nutzung eröffnen zahllose Möglichkeiten: Zum Beispiel zerteilen und beengen hohe Bordsteinkanten sonst große Flächen, Kopfsteinpflaster verhindert, dass ein Federballfeld aufgemalt wird oder Kinder Rollschuh laufen. Eine Bank muss nicht nur Bank sein, sie kann Klettergerüst für Kinder, Bühne oder Hindernis für Parcours-Läufer*innen sein. Damit begegnet man auch den Bedürfnissen unterschiedlicher Generationen. Gerade die Interessen von Älteren sahen ein Teil der Teilnehmer*innen selten berücksichtigt, während andere berichteten, dass teure Rentner*innensportplätze leer stünden, aber Restgeld fehle, um eine Skatehalle zu bauen, auf die Jugendliche in Bothfeld sehnlichst warten.

Hybride Gestaltung und in der Folge vielfältige Nutzungsmöglichkeiten verhindern solche Fehlinvestitionen, bei denen starr geplante Angebote von der angesprochenen Zielgruppe nicht (oder nicht mehr) angenommen werden. Eine weitere Möglichkeit, diese Fehlinvestitionen zu vermeiden, sind Tests und temporäre Aufbauten, um über einen längeren Zeitraum zu erforschen, ob und wie sich die geplante Nutzung entwickelt. Hier sind die aktuell laufenden Experimentierräume der Stadtverwaltung ein guter Startpunkt.

Skatemöglichkeiten oder Bewegungsangebote für Senioren? Überlegungen an der Kreuzung Breite Straße/Georgswall

Hybride Gestaltung und in der Folge vielfältige Nutzungsmöglichkeiten verhindern solche Fehlinvestitionen, bei denen starr geplante Angebote von der angesprochenen Zielgruppe nicht (oder nicht mehr) angenommen werden. Eine weitere Möglichkeit, diese Fehlinvestitionen zu vermeiden, sind Tests und temporäre Aufbauten, um über einen längeren Zeitraum zu erforschen, ob und wie sich die geplante Nutzung entwickelt. Hier sind die aktuell laufenden Experimentierräume der Stadtverwaltung ein guter Startpunkt.

Prinzenstraße/Schiffgraben

Die Notwendigkeit von Experimenten wurde auch am nächsten Standort deutlich, dem neu gestalteten Park auf dem Mittelstreifen von Prinzenstraße/Schiffgraben. Inmitten des Verkehrslärms der beiden zweispurigen Straßenseiten bleibt kaum Gelegenheit, die insektenfreundliche Wiese zu genießen. Die Idee kam auf, die Straße nur noch einseitig am Park entlang zu führen. Hier würde viel Fläche frei, die doppelt so groß ist wie der Skatepark Linden Süd am Allerweg. Das, so eine Teilnehmerin, sei für sie völlig unvorstellbar. Und dies ist nachvollziehbar, wenn man sich die aktuelle Situation mit Lärm und Gestank anschaut. Hier einen Spielplatz zu errichten, Boule oder Skaten zu ermöglichen, wäre eine Zumutung. Um sie vom Gegenteil zu überzeugen, muss sie diese Vision erleben. Den vielen Anwohner*innen in Hedwig- und Warmbüchenstraße, die kaum Grünflächen oder Bewegungsmöglichkeiten in ihrem Wohnviertel haben, muss die Möglichkeit gegeben werden, Neues und Unbekanntes über einen längeren Zeitraum zu testen und auszuprobieren.

Weniger graue Autospuren, mehr attraktive Freifläche? Diskussionen über Zukunftsszenarien am Schiffgraben

Köbelinger Markt

Den allseits zu erwartenden Nutzungskonflikten kann begegnet werden, indem in klug geplanten Reallaboren/Experiementierräumen die schöne und attraktive Innenstadt erlebbar gemacht wird. Aber hier muss darauf geachtet werden, dass Aktionen nicht nur kurzzeitige Projekte bleiben, sondern nachhaltig Teil des Stadtbildes werden. An der letzten Station der Exkursion, dem Köbelinger Markt, ist ein zweiwöchiges Experiment durchgeführt worden. Die Bilder des großen, seinerzeit von parkenden Autos befreiten Platzes, wirken nach, Teilnehmende können sich hier leicht Hängematten, Slacklines, Boulebahnen und Schaukeln vorstellen. Vor dem inneren Auge entsteht ein Innenstadtspielplatz mit Wasser und Bewegungselementen für Kinder und Erwachsene, ein südländisch anmutender Platz, der statt zum Parken nun auch zum Verweilen einlädt und an dem man sich Marktstände und Sitzgelegenheiten mit südländischem Flair vorstellen kann.

(Park-)Platz mit südländischem Flair? Weg mit den Autos und her mit den Bänken und Cafés!

Die Exkursion war die dritte Veranstaltung des Bürgerbüro Stadtentwicklung Hannover e. V. und der Volkshochschule Hannover im City-Diskurs ZUKUNFTinnenSTADT. Zur großen Frage nach der Zukunft der Innenstadt Hannovers wurde diesmal aus der Perspektive der Bewegung und des urban sports Antworten gesucht. Viele Ideen und Inspiration konnten bereits auf der Zukunftswerkstatt „Bewegungs(T)räume Innenstadt“ der Landeshauptstadt Hannover gesammelt werden. Hier wurde, auf Initative der Stadtverwaltung zusammen mit Stadtbaurat Thomas Vielhaber und Kulturdezernentin Konstanze Beckedorf – am Vortag – beispielhaft über ausgewählte Innenstadträume und deren Eignung für Sport und bewegung gesprochen.

Das Thema Bewegung in der Stadt ist durch Corona wichtiger geworden. Dass es neben sanierungsbedürftigen Vereinssportanlagen der 70er Jahre nun auch in der Innenstadt platziert wird, ist neu. Die Angebote müssen maßgeschneidert sein und zu benachbarter Nutzung passen. Besonders in der Nähe von Wohnhäusern besteht hoher Bedarf: Hier ist es nötig, den Plätzen der Innenstadt – zum Beispiel durch Bewegungsangebote – Profil und Identität zu verleihen. Um fortschrittlich zu planen, müssen Prozesse in der Verwaltung beschleunigt und Hindernisse beseitigt werden. Vom Anstoß zur Eröffnung dürfen nicht acht, sondern höchstens zwei Jahre vergehen. Das erfordert Mut und das Aushalten von Konflikten. Damit Außergewöhnliches entsteht und Trends erlebbar werden, müssen das Ausprobieren und auch der Mut zum Scheitern in der Verwaltung der Landeshauptstadt Normalität werden. Motivation für diesen Prozess liefern der Spaß und die Freude, die ein Tischtennisspiel unter freiem Himmel macht.

Exkursion verpasst? Hier gibt es noch einmal einen Zusammenschnitt mit spannenden Eindrücken:

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ZUKUNFTinnenSTADT

Das bbs stellt 2021 und 2022 die kooperative Entwicklung der Innenstadt in den Fokus seiner Arbeit. Kooperationspartner*innen sind die Volkshochschule Hannover (VHS) und Politik zum Anfassen e. V. Über das Jahr hinweg werden in digitalen und analogen Veranstaltungen, mobil in den Stadtteilen, per App auf PLACEm und in der VHS Hannover zahlreiche Facetten der Innenstadt Hannovers beleuchtet. Ziel ist es, mit Bürger*innen und Expert*innen eine Vision für die Innenstadt Hannovers zu kreieren und damit einen gehaltvollen Beitrag zur Stadtentwicklung zu leisten. Auf dem Weg dahin inspiriert die Reihe Bürger*innen sich mit der Innenstadt auseinanderzusetzen und pflanzt Ideen, wie sie attraktiver, lebendiger und vor allem gerechter werden kann. Mehr Infos hier.