Ankunftsstadt

Migration und Stadtentwicklung

06. Dezember, Anna Finn

Am 15. November lud das bbs ein, um über Ankunftsstädte zu sprechen. In den Räumlichkeiten des Vereins Unter einem Dach e.V. hatten wir und die Gäste die Möglichkeit uns über Stadtentwicklung und Migration auszutauschen. Die Entstehungsgeschichte des Vereins wurde von der Projektkoordinatorin Iyabo Kaczmarek vorgestellt und gab Einblicke in ein Best Practice Beispiel für einen gelungenen Ankunftsort in Hannover. Prof. Dr. Werner Reichmann, ein Experte für Architektursoziologie gab uns ebenfalls Einblicke in den Ankunftsort “Welcome to Thedinghausen” und eine Einführung ins das Thema wie Menschen und Räume sich wechselseitig formen. Aus Osnabrück gab uns Ralf Sabelhaus aus dem Fachbereich Integration einen Überblick über das diverse Spektrum an Projekten zur Beteiligung und Demokratiestärkung in seiner Stadt. Im Allgemeinen richteten sich die Beiträge und Diskussionen um wirtschaftlich schwache Ankommende und Geflüchtete und wie es gelingen kann ihnen ein besseres Ankommen in der Stadt und Teilhabe zu ermöglichen.

Durch die Inputs und die Diskussion mit Gästen haben wir versucht fünf Leitfragen zu beantworten: 

  • Welche Anforderungen stellen die neuen Bürger*innen an Hannover? 
  • Unterscheiden sich diese von Alteingesessenen, wenn ja, in welchen Punkten? 
  • Wie verändern sich Räume durch Migration und wie verändern sich Migrations- und Integrationsprozesse durch Räume? 
  • Welche Best Practice Beispiele gibt es in den Themenbereichen Demokratie  und Stadtleben/Kultur? 
  • Wie können diese Projekte skaliert und durch Verwaltung und  Stadtgesellschaft umgesetzt werden? 

Das Ankommen in einer Stadt und in einem neuen Land  ist häufig eine Alltagsfüllende Aufgabe: Wohnung suchen, Arbeit suchen, sich Abschlüsse anerkennen zu lassen, Ämter aufsuchen. Der Blick den diese Menschen auf unsere Stadt haben ist meist ein ganz anderer als von Biographie Hannoveranern bzw. Biografie-deutschen. In diesem Einfindungsprozess machen die Ankommenden Erfahrungen, die häufig nicht durch die politischen Träger gemacht und finden somit auch weniger einfluss in die politische Arbeit. Zu diesem Thema stellte Ralf Sabelhaus das Projekt “Demokratie macht Integration” vor. In diesem Projekt wurde aktiv für Menschen mit Migrationshintergrund geworben, im Rat der Stadt aktiv zu werden. Gleichzeitig steht die Mitwirkung in Institutionen im Widerspruch mit der Lebensrealität vieler migrierender Menschen. Bei Ihnen ist Ankommen und Zurechtfinden in einer neuen Stadt, einem neuen Land oder sogar auf einem neuen Kontinent häufig eine alltagsfüllende Aufgabe und lässt wenig Kapazitäten für politische Arbeit.

“Es gibt hohen Bedarf an Begegnungs- und Aufenthaltsräumen, welche niederschwellig genutzt und angeeignet werden können!”
Iyabo Kaczmarek

Anhand der Inputs von Iyabo Kaczmarek und Werner Reichmann kristallisierte sich heraus, dass es einen hohen Bedarf an Begegnungs- und Aufenthaltsräumen gibt, welche Niederschwellig aufgesucht und Angeeignet werden können. Orte des Begegnens sind vor allem dann wichtig, wenn wie im Falle von vielen Geflüchteten noch keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen wird. Für Themen, Orte, Netzwerke besteht häufig noch keine Kenntnis und daher bedarf es im Vielschichtigen Sinne Türöffner*innen, wie auch für das politische System. Diese Räume helfen Ankommenden, sich zu vernetzen, ohne Konsumzwang in einer Gemeinschaft zu sein, sich Auszutauschen und bieten Ausgangspunkte für wirtschaftliche Perspektiven. 

“Veränderbarkeit von Räumen bietet die Möglichkeit zur Beteiligung in kleinem Maßstab”
Werner Reichmann

Iyabo Kaczmarek zeigte Beispiele, wie sich durch Veranstaltungen Orte aktivieren lassen und unterstrich nochmal wie wichtig diese seien, um Ankommensorte barrierearm zu gestalten. Auch die Mehrsprachigkeit sei dabei ein immer wieder unter den Tisch fallender, aber wichtiger Faktor. Herr Reichmann verwies darauf, dass Aneigbarkeit ein zentraler Faktor wäre, damit sie angenommen werden, aber ebenso müssen die Räume über befähigende Infrastrukturen wie z.B. W-Lan oder eine Küche verfügen, wie uns das Projekt Unter einem Dach zeigte. Durch Einblicke in die Geflüchteteninitative “Welcome Thedinghausen” erklärte Reichmann, welche Rolle Materialität und Veränderbarkeit der Räume und deren Inhalte auf die Möglichkeit zur Aneignung haben. Veränderbarkeit bietet laut Reichmann die Möglichkeit zur Beteiligung in kleinem Maßstab,  welche häufig die Voraussetzung für eine Beteiligung in größeren Kontexten darstellt. 

Lassen wir Menschen mitentscheiden, mitwirken und begeben wir uns damit unweigerlich in längerfristige Prozesse, tritt das räumliche Produkt immer mehr in den Hintergrund. Der Raum wird zu einem Werkzeug für Wirtschaftlichkeit, Communitybuilding, Selbstwirksamkeit und Sichtbarkeit von Menschen stilisiert. Dieses Werkzeug wird durch die Nutzdenden geformt und an ihre Bedürfnisse angepasst. Gibt es diese Räume nicht, müssen sich die Ankommenden an die bestehenden Räume anpassen, und das während sie sich ohniehin schon an so viele neue Gegebenheiten anpassen muss. So kann das Ankommen zur Frustration werden und in die Segregation führen.

Wie können Ankunftsorte in der Stadt vervielfältigt werden?

Für die vervielfältigung von Ankunftsorten braucht es neben Sozialarbeiterischer Beziehungsarbeit für Ankommende, verfügbare Räume. Neben dem reklaimen von neuen Orten, könnte es auch eine Option sein bestehende untergenutzte Flächen und Räume der Stadtgesellschaft zu reframen. In Frage kommen würden: alte Gemeindehäuser und Kirchen, Vereinsgebäude von aufgelösten Sportverbänden, Räumlichkeiten von Bibliotheken und Rest- und Brachflächen im Außenbereich. Durch Zielgruppengerechte und niederschwellige Veranstaltungen und Steigerung der Aneignungsfähigkeit können diese Erfahren werden und Barrieren zur Nutzung abgebaut werden. Für die Gestaltung nach eigenen Bedürfnissen besteht bereits eine gute Förderkultur mit Wir 2.0 und den Integrationsbeiräten. Fazit: Ankunftsorte in Hannover zu etablieren und zu verstetigen, bieten Ausgangspunkt für Partizipationsprozesse, welche ein Gegenmodell zur herkömmlichen Top-Down Beteiligung darstellen und nicht zu Lasten der Kapazitäten von neu Ankommenden werden.